In diesem Jahr ist Finnland das Gastland der Frankfurter Buchmesse – Anlass genug, gezielt die finnische Literatur näher ins Auge zu fassen. Den Anfang macht „Eis“ in meiner kleinen Auswahl und dieses Buch ist gleichzeitig auch das erste Werk Ulla-Lena Lundbergs, das ins Deutsche übersetzt und hier veröffentlich wurde.
Alle Zeichen stehen auf Neuanfang an einem sehr kalten, sehr frühen Morgen im Mai, im Schärengürtel zwischen Schweden und Finnland. Der neue Pastor Petter Kummel, seine Frau Mona und die gemeinsame Tochter Sanna werden von einem Empfangskomitee herzlich begrüßt, als sie am Steg der Pfarrinsel mit dem Boot anlegen.
Was folgt, ist die Geschichte eines Pfarrers, der hochmotiviert seiner Berufung nachgeht und für den das Arbeiten auf dieser abgelegenen Schäreninsel nicht Strafe, sondern Geschenk ist. Er ist den Inselbewohnern absolut unvoreingenommen, trägt sein Herz auf der Zunge und erobert die ihm zugeteilte Schärengemeinde mit seiner offenen, manchmal schon fast etwas naiven Art, im Sturm. Auch, als sich abzeichnet, dass auf den Inselgruppen doch nicht alles so idyllisch ist, wie es anfangs schien, hält er unbeirrt an seiner Haltung fest und verlässt sich darauf, dass alles schon gut werden wird, wenn man es nur entsprechend gut anfängt. Seine pragmatische, rührige und sehr bodenständige Frau hält ihm derweil den Rücken frei, kümmert sich um Haus, Hof und Kind und sorgt zwischendurch dafür, dass der Herr Pfarrer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, wenn er sich vor lauter Enthusiasmus zu viel aufbürdet oder sich in seinen hohen Erwartungen verstrickt. Ganz irdische Probleme also auch für einen Mann mit himmlischem Auftrag…
Das Erzählen hat in Skandinavien eine lange Tradition. Dieser Gewohnheit folgend, werden die Personen entsprechend ausführlich mit ihren Sorgen, Nöten und Hintergründlichkeiten beschrieben. Wir erfahren von Verstrickungen und alten, gepflegten Feindschaften; bekommen einen Eindruck, welche seelischen Schmerzen manche Menschen ihr Leben lang aushalten müssen, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder vor langer Zeit eine Entscheidung treffen mussten, die für sie zu diesem Zeitpunkt die einzig richtige zu sein schien. Wir sehen, wie groß das Glück im Kleinen sein kann, wie greifbar und gleichzeitig so unglaublich fragil. In „Eis“ wird gelebt und geliebt, gehadert und gezweifelt, bereut, gelitten und gehofft. Wir erleben mit, wie stark die Wechsel der Jahreszeiten das Leben dort auf den Schären beeinflussen, wie sehr der Rhythmus des Jahres den Alltag prägt. Und dass es Dinge und Wesen gibt, die die Menschen begleiten und leiten, manchmal auch warnen, obwohl man sie nicht sehen kann. Wohl aber erkennen, wenn man bereit dazu ist.
Dieses sehr ausführliche Erzählen, diese Betulichkeit und das weite Ausholen war es, das mich zwischendurch etwas mürbe gemacht hat. Mir waren die Schilderungen des allwissenden Erzählers oft zu lang, zu detailverliebt und zu sehr hielt er sich an und in Gedankenverkettungen und Erklärungen auf. Die Sprache, die Ulla-Lena Lundberg in ihrem Roman verwendet, ist an sich flüssig, manchmal hätte sie sich gerne kürzer fassen können und zwischendurch erinnerten mich ihre kleinen Pointen ein wenig an den Erzählstil Astrid Lindgrens.
Und trotz dieser Eigenarten kann ich sagen, dass ich das Buch gerne gelesen habe. Die Bilder, die die Autorin heraufbeschwor, setzten sich in meinem Kopf fest und begleiten mich teilweise immer noch. Obwohl ich das Buch bei sommerlichen dreißig Grad gelesen habe, sah ich die Schären sich durch das Eis verbinden, hörte ich das Eis knacken und knirschen, fühlte die Kälte und teilte die Freude der Bewohner, endlich ohne Boot von Insel zu Insel laufen oder fahren zu können, um Besuche zu machen. Genauso erleichtert begrüßte ich den Frühling und begleitete die Menschen durch den kurzen, arbeitsreichen, luftigen Sommer. Und ein bisschen mitgeschnieft habe ich am Ende auch.
Was bleibt, ist das Gefühl, von einem netten Menschen eine schöne Geschichte erzählt bekommen zu haben.
„EIS“ von Ulla-Lena Lundberg erschien am 05.08.2014 im mare-verlag, trägt die ISBN 978-3-86648-206-7, ist 528 Seiten dick und für 24,00 € bei ihrem Buchhändler zu haben. Übersetzt wurde es von Karl-Ludwig Wetzig.
Schöne Beschreibung von mare-Programmleiterin Katja Scholz ist hier zu lesen.
Über Ulla-Lena Lundberg:
Ulla-Lena Lundberg, geboren 1947 auf den Åland-Inseln, zählt zu den bedeutendsten finnlandschwedischen Autoren. Seit ihrem Debüt im Alter von 15 Jahren veröffentlichte sie zahlreiche Romane, Hörspiele und Sachbücher und wurde mit einer Reihe von Preisen geehrt. Die Übersetzungsrechte von Eis wurden in viele Länder verkauft; es ist der erste Roman der Autorin, der auf Deutsch erscheint.
So, ich wollt dir nur schreiben, dass ich deinen Beitrag hier noch nicht gelesen habe 😉 Das Buch ist mein übernächstes was ich lesen werde. Dann komm ich wieder und bin gespannt, was du schreibst 🙂
Liebe Grüße
Tobi
…und ich bin gespannt, wie es dir gefallen hat!
Man liest sich,
herzliche Grüße
Sonja