Da hat mich doch der Klappentext auf eine ziemlich falsche Fährte gelockt:
„Er ist ein erfolgreicher Virologe – Arbeiten, Reisen, Affären -, sie eine Soziologiestudentin ohne Abschluss. Die beiden werden ein Paar und heiraten. Doch hier, wo viele Romane enden, beginnt Edwards eigentliche Geschichte erst. Der selbstbewusste Wissenschaftler, der die Versuchstiere eigenhändig tötet, wenn es der Karriere dient, hält Ruths moralischen Anforderungen nicht stand. Edward wird klar, dass sein besseres Ich bei seinem raschen Aufstieg auf der Strecke geblieben ist – für immer?“
Er suggerierte mir, dass seine Frau ihm moralisch überlegen ist. Doch ist das wirklich so?
Alles beginnt mit Moment, als Edward auf der Terrasse eines Cafés in Utrecht sitzt und diese schöne junge Frau auf dem Mountainbike sieht: „…leicht vornüber gebeugt, mit dem Hintern in der Luft. Der Hintern, mit dem alles anfing.“ Er wusste, er musste sie ansprechen, musste sie unbedingt haben, denn es war „Als hätte man haargenau eine Chance – und wenn man die vermasselt, fällt die Tür hinter einem zu und das Wunder wird sich nie wiederholen.“
Kurzum – sein Anbaggern war erfolgreich, sie wurden ein Paar, heirateten, bekamen ein Kind. Trotz des Altersunterschieds von 14 Jahren. Trotz der verschiedenen moralischen Grundeinstellungen – sie Vegetarierin aus Überzeugung, er führt zu Forschungszwecken ganz selbstverständlich Tierversuche durch . Bis dahin fand ich alles recht vorhersehbar: Gutaussehender, erfolgreicher Mann in den besten Jahren ist scharf auf einen drallen Hintern und angelt sich die dazugehörige schöne junge Frau. Für beide eine Win-Win-Situation: Er bekommt seinen Jungbrunnen und poliert sein Ego, sie bekommt finanzielle und emotionale Sicherheit, eine Familie und gesellschaftliche Anerkennung. Die später folgende Trennung ist dann bei einer Vorgeschichte wie dieser nicht wirklich eine Überraschung.
Interessant ist aber, wie es zu dieser Trennung kommt – Tommy Wieringa beschreibt ein Geflecht von Umständen, Verhältnissen und Konsequenzen, das in dieser Form eben nicht zwingend zu erwarten ist. Dabei spielt er immer wieder mit möglichen Antworten auf verschiedene Fragen moralischer Wertigkeit – und am Ende gibt es (vermutlich) auf keiner Seite einen Gewinner. Dabei hat Ruth mit ihren wunderbar schöngewünschten Vorstellungen sicherlich die elegantere Variante von Moral gewählt, die sie gerne bei anderen als Maßstab anlegt – was sie allerdings nicht daran hindert, bei Bedarf skrupellos ihre eigenen Interessen durchzusetzen und sich auch nicht scheut, andere dafür zahlen zu lassen. Sprichwörtlich.
Edward, dem sachlichen, wissenschaftlichen, rationalen Menschen, dem ich zu Beginn eine gewisse unangenehme Oberflächlichkeit attestierte, verändert sich im Laufe der Geschichte. Zwar sind seine Lösungsansätze in Sachen Auseinandersetzung mit Alter und Beziehungsdingen etwas unorthodox: Als er beispielsweise feststellt, dass das Zusammensein mit einer schönen, jungen Frau mitnichten schmeichelhaft für sein Ego ist, sondern ganz im Gegenteil seinen Leidensdruck sogar noch erhöht, kann er das nur dadurch relativieren, in dem er sich eine noch jüngere Geliebte nimmt :
„Der Besitz einer schönen jungen Frau wurde erst dann erträglich, wenn man sich eine noch jüngere Geliebte nahm. Das stellte das Gleichgewicht her. Die Waagschalen waren wieder in Balance.“
Das ist natürlich krude, klingt aus seinem Hirn aber so logisch, dass man es schon fast wieder glauben möchte. Und auch wenn man ihn auf den ersten Blick als oberflächlichen, karrieregeilen Egoisten wahrnehmen kann, gewinnt er für mich durch seinen Willen, sich und sein Tun in Frage zu stellen, ernsthaft nach Antworten zu suchen und sich danach entsprechend neu auszurichten.
Man kann über Thema, das Empfinden der Charaktere und die Umsetzung im Buch hervorragend streiten, anderer Meinung sein oder herzlich diskutieren, wie die Fundstücke im Netz zeigen. Laut der Welt zeigt Tommy Wieringa „ einen Menschen, der trotz all seiner Virtuosität den Niederungen des Alltags nicht gewachsen ist.“; für Thorsten Schulte hat der Kurzroman „große erzählerische Schwächen“, wie er bei literaturkritik.de ausführlich erläutert. Die ganze Bandbreite unterschiedlicher Einschätzungen konnte man in der Diskussionsrunde des Literaturclubs im srf verfolgen.
Wer sich jetzt selber einen Eindruck verschaffen will, möge die von Bettina Bach übersetzten 128 Seiten beim Buchhändler seiner Wahl unter der ISBN 978-3-446-24788-8 bestellen. Er darf dann im Tausch gegen 14,90 € „Eine schöne junge Frau“ mit nach Hause nehmen, um mit ihr ein paar nette Stunden zu verbringen.
Tommy Wieringa, 1967 geboren, ist einer der erfolgreichsten niederländischen Schriftsteller. Er schreibt Romane, Erzählungen, Reisereportagen, Hörspiele und Gedichte. Bei Hanser erschienen die Romane Joe Speedboat. Keine Zeit für Helden (2006) und Der verlorene Sohn (2010).
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