Doris Knecht – Wald

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„Früher, viel früher: Da brauchte man nur eine gute Ausbildung, man musste nur ein fleißiger Einser-Student sein, man brauchte nur Tüchtigkeit, Durchhaltevermögen, einen Rolodex voller guter Kontakte und viel Kaffee (oder Red Bull oder Koffeintabletten oder Kokain): Dann hatte man Erfolg. Zuverlässig. … Das Rezept hatte nach dem Krieg zu funktionieren angefangen, und dann funktionierte es gut fünfzig Jahre lang gut, und dann funktionierte es wegen ein paar dummgekoksten Wallstreetzockern plötzlich nicht mehr.“

Das ist einer der Gedanken, der sich in Marians Kopf in Endlosschleife dreht. Jetzt, nachdem sie alles hinter sich gelassen hat. Hier, in einem kleinen Haus im Wald. Sie, die in ihrem alten Leben Kaffee nur aus der Gaggia richtig genießen konnte und von der sich gutsituierte Damen edle Kleider auf den Leib schneidern ließen. Geschenkt wurde ihr von Anfang an nichts: In ihrer Jugend nicht und auch ihre Karriere war lediglich das Ergebnis konsequent geplanter, zielstrebiger und unermüdlicher Arbeit. Während des Studiums wurde sie schwanger, die Beziehung zum Vater ihrer gemeinsamen Tochter ging in die Brüche und das Angebot, zwei Jahre in der Meisterklasse der legendären Vivien Westwood zu absolvieren, wollte und konnte sie einfach nicht ausschlagen. Ihre kleine Tochter ließ sie nach gemeinschaftlichem Beschluss beim Vater zurück, der sich schlichtweg besser zum Elternsein eignete. Marian, die professionell an ihrer Karriere gebaut und ebenso professionell eine weitere gescheiterte Beziehung mit einem so zuverlässigen wie langweiligen Mann beendete; die dann aber einen großen Fehler beging, weil sie irgendwie vor lauter Arbeit, zwischen vielversprechenden Aufträgen und mit hormonvernebeltem Hirn übersehen hat, dass der neue, attraktive Lover ein ganz richtig großes Arsch ist und die Wirtschaftskrise auch vor Ländergrenzen nicht Halt macht.

Und dann, nachdem alles verloren, aufgelöst und abgewickelt war, stieg sie aus, komplett, aus diesem ganzen System. Weg von ihrer Schuld, für die sie so viel und so lange hätte zahlen müssen, dass ihr Leben nicht dafür ausgereicht hätte. Und nun sitzt sie hier, im Wald; lebt in einem Haus, das ihr niemand nehmen kann, weil es ihr gar nicht gehört; ernährt sich von dem, was sie anbaut, erntet, schlachtet und findet (oder was irgendwie den Weg zu ihr findet). Der Tagesablauf richtet sich nicht nach Terminen, sondern nach Sonnenauf- und –untergang, nach Jahreszeiten und Notwendigkeiten. Es gibt keine dringenden E-Mails und unbedingt zu erledigende Telefonate mehr. Die Prioritäten werden durch die Grundbedürfnisse vorgegeben: essen, schlafen, Wärme. Und durch Franz, der sich ein gewisses Maß an Fürsorge in Naturalien bezahlen lässt.

All das wäre Stoff für eine wunderbar nette, herzige Aussteigergeschichte mit Happy End. Weg aus der Stadt, raus aus dem Hamsterrad, fort vom Diktat der gewinnmaximierten Erfolgsmenschen. Rein ins Naturidyll, back to the roots. Sich selbst finden, auf das Wesentliche reduzieren, ein ausgeglichener, geerdeter, um das Wichtige wissender Mensch werden.

Wenn es nicht von Doris Knecht geschrieben wäre. Da ist nix mit Idyll. Bei Doris Knecht gibt es kein „nur gut“ oder „nur schlecht“, da haben alle Personen Risse, Unschärfen und Inkonsequenzen. Das ehemalige erfolgsverwöhnte und als oberflächlich entlarvte Städterleben hat auch in der Rückblende durchaus wünschenswerte Schokoladenseiten, nach denen sich Marian zwischendurch immer wieder sehnt. Das autarke, unabhängige Leben im Wald ist mitnichten reines Idyll – obwohl selbst gewählt, beste Option und vermeintlich frei: Oft ist es einfach nur bloßer Kampf gegen Naturgewalten und mit sich selbst.

Es wäre auch nicht typisch Knecht, wenn Marian ihre Beziehung zum Franz nicht punktgenau analysieren würde. Ist sie wirklich eine „Hur“, wie einer der ihr nicht gerade freundlich gesinnten Dörfler mit Kreide an die Tür gemalt hat? Ab wann wird man dazu? Und wo ist die Grenze? Sie hat einen Deal mit diesem Franz, ja, ein Geschäft, das

für beide Seiten profitabel und erträglich ist. Sie kümmert sich um ihn, er kümmert sich um sie, auf einer quasi amikalen, auf jeden Fall ökonomischen Basis.“

Und inmitten dieser Überlegungen und Abwägungen wächst in Marian die Erkenntnis, dass jede Beziehung in irgendeiner Weise eine eigene Ökonomie hat. Und das ihr nach außen hin zweifelhaftes Verhältnis zu Franz vielleicht doch eines der ehrlicheren ist. Was sie ihrer sehr bürgerlichen und sehr verheirateten Schwester auf die Frage, was sie beim Franz für seine Gegenleistung denn tun müsse, während eines der sehr seltenen und sehr verhassten Telefonate, dann folgendermaßen erklärt:

„Das Gleiche wie du, Schatzi.“ „Wie meinst du das?“ „Ich mach die Beine breit, du machst die Beine breit. … Du hältst hin, ich halte hin, wir bekommen etwas dafür.“

Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich die Bücher von Frau Knecht mag? Ohne viel Schnickschnack, geraderaus und mitten rein.  Der Gruber (wurde mittlerweile verfilmt – wann bitte ist er in Deutschland zu sehen?) war schon klasse,  „Besser“ fast schon grandios. Entsprechend gespannt war ich auf ihr neuestes Werk und habe mich mächtig gefreut, als der „Wald“ nun endlich vor mir lag. Und dann, ich will nicht ausschließen, dass es an übersteigerter Erwartung lag, war ich zuerst etwas enttäuscht. Ohne direkt definieren zu können, warum. Vielleicht, weil sich mir anfangs immer die Bilder von Marlen Haushofers „Die Wand“ aufdrängten? Dann gab es da für mich so eine gewisse Unstimmigkeit in Tempo und Duktus . Es las sich für mich, als wolle Doris Knecht ein Experiment wagen; irgendeine besondere Idee auf eine besondere, neue Art umsetzen, und es fühlte sich für mich ein bisschen an wie Fahren mit angezogener Handbremse. Ungefähr zu Hälfte kam dann die Befreiung, als hätte sie sich warm- und freigeschrieben, hätte ihr Thema, ihren Rhythmus und ihren Stil für dieses Buch gefunden. Die zweite Hälfte und der Schluss waren dann so wie immer. Richtig, richtig gut.

Wer sich mit Doris Knecht in den Wald trauen möchte, bekommt den 272-seitigen Passierschein mit der ISBN 978-3-87134-769-6 als Hardcover im Tausch gegen 19,95 € beim Buchhändler vor Ort.

Mariki vom Bücherwurmloch hat sich vom Wald begeistern lassen und attestiert Doris Knecht „… sie beweist auch darin eine messerscharfe Beobachtungsgabe und das Talent, menschliche Abgründe offenzulegen“ und auch den Kaffeehaussitzer konnte die Autorin mit ihrem Wald überzeugen.

Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin («Kurier», «Falter») und Schriftstellerin. Ihr erster Roman «Gruber geht» (2011) war für den Deutschen Buchpreis nominiert, derzeit wird er verfilmt, im Frühjahr 2015 kommt der Film in die Kinos. Für ihren vielgelobten Nachfolger «Besser» (2013) erhielt Doris Knecht den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.

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