„Ab heute heiße ich Margo“ ist eins dieser Bücher, die mich nicht haben schlafen lassen; in die man als Leser förmlich hineingelebt wird und die man nicht aus der Hand legen will, bevor man den letzten Buchstaben der letzen Seite inhaliert hat. Und das sollte wohl reichen, um dezent darauf hinzuweisen, dass dieses Buch gelesen gehört. Jawohl!Bücher können Spaß machen – oder Augenringe
Es gibt Bücher, die liest man und denkt, ja, hat Spaß gemacht oder war ganz nett. Oder man ist davon so begeistert, dass man sofort herausschreiben muss, wie toll es war, wie spannend, wie humorvoll, wie mitreißend, und warum.
Und dann gibt es Bücher, die liest man an – und kann und will es nicht mehr aus der Hand legen. Man investiert in Augenringe wegen des fehlenden Schlafs und ist das Buch beendet und zugeklappt, wird man ganz still. Nachdenklich. Mag erst mal kein neues beginnen, weil das alte noch in einem nachklingt und der Nachhall erst langsam leiser wird.
Was bleibt, ist das eigenartige Gefühl, sich für ein Buch bedanken zu wollen
Für mich war „Ab heute heiße ich Margo“ genau so ein Buch. Was bleibt, ist das eigenartige Gefühl, mich bei der Autorin genau dafür bedanken zu wollen. Für die intensiven Lesestunden, für den Sog und den Nachhall.
„Danke“ an die Autorin für ein Buch, das eindringlich zeigt, wie sich Menschen unter extremen Bedingungen wie Krieg oder Hunger, Angst oder Scham verändern. Wie Prinzipien über den Haufen geschmissen werden, weil manchmal keine Alternative gesehen werden konnte (oder sie es schlichtweg nicht gab). Wie durch Zufälle die Vita eines Menschen einfach völlig umgeschrieben wird. Wie Träume und Lebensentwürfe scheitern, weil man zur falschen Zeit am falschen Ort war.
Danke auch ganz besonders dafür, dass sie diese Veränderungen schildert, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu winken, ohne zu werten. Durch diese Unmittelbarkeit, mit der sie mich, den Leser, die Protagonisten durch die Jahrzehnte begleiten lässt, kommt man gar nicht erst in die Versuchung, die Menschen mit ihren oft falsch erscheinenden Entscheidungen be- oder verurteilen zu wollen – ein anmaßender Reflex, der viel zu oft und viel zu schnell einsetzt; wo es doch immer so erfrischend leicht ist, mit dem Wissen von heute Dinge aus der Vergangenheit bewerten zu wollen.
Danke für diesen ganz eigenen Erzählton, der sachlich auch noch die schlimmsten Gräuel schildert, ohne dabei kühl zu wirken, der mit einem gewissen Abstand die Charaktere skizziert, ohne dabei die Nähe zu verlieren. Einer Art des Erzählens, die auf mich wirkte, als sei sie getragen von einer Art liebevollem Respekt vor einer Generation, der mit und durch Gewalt so unfassbar viel genommen wurde; in der so viele Menschen beraubt, betrogen und verraten wurden um ihre Gesundheit und ihre Träume, um ihren Anstand und ihre Würde. Die danach einfach nur noch leben wollte und das teilweise nur schaffen konnte, indem das große Tuch des Schweigens über die Vergangenheit gelegt wurde.
Ach so – und danke auch für die Paranoia. Seitdem ich das Buch gelesen habe, klopfe ich systematisch die Vergangenheit meiner alten Verwandtschaft ab und frage mich, wie viele von ihnen wohl auch für „Frieden und die Völkerfreundschaft“ gearbeitet haben mögen…
Zum Buch selbst und zu den einzelnen, unterschiedlichen und sorgfältig angelegten Charakteren werde ich nichts weiter sagen, weil damit einfach zu viel vorweg genommen werden würde. „Ab heute heiße ich Margo“ lebt gerade vom Reiz, die vermeintlichen Wahrheiten nur bruchstückhaft gereicht zu bekommen, um sie Stück für Stück zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen. Die Handlungsstränge sind vielschichtig und komplex angelegt, gründlich recherchiert und oft genug fing ich an zu mutmaßen, in welche Richtung sich alles entwickelt. Allerdings wurde ich auch öfter mit unvermuteten Wendungen überrascht…
Dezenter Hinweis: unbedingt lesen!
Also, nichts wie hin zum Buchhändler der Wahl, „Ab heute heiße ich Margo“ über den Tresen geraunt und gegen 21,99 € eingetauscht. Sollte es nicht vorrätig sein, kann man der Buchhandlung mit dem Hinweis, dass diese 640 Seiten von Cora Stephan geschrieben und unter der ISBN 978-3-462-04895-7 beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen sind, die Bestellung vereinfachen.
Mir ging es genauso mit dem Buch !
Ich Liebe es, es hat mir eine große Freude bereitet es zu lesen Ich fand es schön in
die Vergangenheit meiner Eltern und Großeltern einzutauchen . Ein Buch das schonungslos, von den Problemen, Träumen, Ängsten und Hoffnungen
erzählt. Sehr interessant auch wie es nach 1945 weiterging . Hier kamen viele Erinnerungen hoch , ich bin Jahrgang 1952!
Liebe Arietta,
das glaube ich, dass viele Erinnerungen hochkamen…
Mir ging es da ähnlich, wobei es bei mir eher die Erinnerungen an die Gespräche meiner Großeltern in großer Runde waren. Ich kenne diese Situationen, in denen plötzlich das Gespräch verstummte, erinnere mich an die Blicke, die sich alle auf einmal nach innen richteten, an die Pausen mit dieser besonderen, verstehenden und stillschweigenden Übereinkunft, nichts sagen zu wollen.
Herzliche Grüße
Sonja
Klingt definitiv so, als sollte ich es auch lesen. Danke für den Tipp! Bin auch vor kurzer Zeit darüber gestolpert, hatte es dann aber doch aus den Augen verloren.
Auch wenn es schon nach schonhalbelf ist – bei dem Buch lohnt es sich wirklich, es nicht aus den Augen zu verlieren…
Wunderbares Buch, dass ich dank Deiner Rezension – oder soll ich lieber sagen Empfehlung – gelesen habe. Ich habe gemerkt, dass ich im Grunde nicht viel über die Stasi weiß und fand die Einblicke höchst aufschlussreich, war geschockt über die Perfidität des Systems. Gut, dass diese Eindrücke durch die wunderbare Liebesgeschichte übertüncht wurden. Wirklich lesenswerter Stoff.
Mir ging es da ähnlich… Ich hatte nie wirkliche Berührungspunkte in diese Richtung. Und die „Liebesgeschichte“ war ja auch eher bittersüß – alles nach meinem Geschmack!